
Unsere Sprache verroht. Und mit ihr unser Denken, denn Hassrede, Social-Media-Kultur und KI verändern nicht nur, wie wir sprechen, sondern auch, wie wir denken, lernen und fühlen und wie wir miteinander umgehen. Warum das gefährlich ist und was wir tun können, um Empathie, Diskursfähigkeit und Bildung zu retten.
Wenn Worte verletzen und Denken verkümmert: Über die Verrohung unserer Sprache und was das mit uns macht
Es gibt Tage, an denen ich die Kommentarspalten unter Nachrichtenartikeln oder Social-Media-Posts wirklich komplett und ganz bewusst meide. Nicht, weil ich Kritik nicht ertragen könnte oder weil unterschiedliche Meinungen mich verunsichern.
Sondern, weil mich der Ton dort oft ernsthaft erschüttert. Weil ich lese, wie Menschen einander beleidigen, herabwürdigen, komplett entmenschlichen (ich will keinen Diskurs anführen zum Thema LTI, aber die Parallelen lassen sich nicht von der Hand weisen).
Ohne zu zögern, ohne Scham, ohne jeden Versuch, einander zu verstehen. Weil aus Sprache, die eigentlich Brücken bauen könnte, längst eine scharfe und verletzende Waffe geworden ist. Das ist natürlich in der Distanz Internets, das viele immer noch für einen rechtsfreien Raum halten, einfacher als vis-a-vis und trotzdem sickert dieses Verhalten leise und unaufhaltsam in unseren Alltag.
Und dann frage ich mich: Was macht das denn mit uns? Was macht das mit unserer Gesellschaft, wenn Respekt, Empathie und Differenzierungsfähigkeit aus unserer Sprache verschwinden?
Und was bedeutet es für eine Generation, die inmitten dieser sprachlichen Verwüstung und dieser sprachlichen Form von Gewalt aufwächst?

Sprache ist mehr als Worte, sie ist Denken
Sprache ist niemals einfach nur ein Mittel zur Kommunikation. Sie ist immer auch ein sehr deutlicher Spiegel dessen, wie wir denken, wie wir fühlen und wie wir die Welt wahrnehmen (möchten). Sie ist ein großartiges Werkzeug, mit dem wir Komplexität begreifen, Zusammenhänge erkennen, Gefühle benennen und Gedanken strukturieren und formen.
Wer spricht, der denkt (immer seltener). Und wer differenziert spricht, denkt auch differenziert.
Aber genau das scheint zunehmend verloren zu gehen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das täglich passiert, wenn nicht sogar stündlich. Die Sprache unserer öffentlichen Debatten wird rauer, eindimensionaler, lauter und hasserfüllter. Und sie ist extrem manipulativ (was man ohne die Fähigkeit zum differenzierten Denken gar nicht mehr erkenn kann).
Widerspruch wird überhaupt nicht mehr als eine großartige Chance zum Lernen verstanden, sondern als Angriff. Kritik wird zur Kränkung, Meinungsvielfalt zur Bedrohung. Die Fähigkeit, sich argumentativ auseinanderzusetzen, weicht dem Impuls, sofort und zurückzuschlagen, mit Worten, die verletzen sollen. Mit Gewalt die mit Worten beginnt und vielleicht in Taten endet.
Das große Problem daranist: Sprache formt Denken. (NLP, noch so ein schönes Stichwort). Und wenn unsere Sprache verroht, verroht auch unser Denken.
Wenn wir nur noch in Schwarz und Weiß sprechen, verlieren wir die Fähigkeit, Grautöne zu sehen. Wenn wir andere nur noch als „Feind“ oder „Idiot“ bezeichnen, fällt es uns schwer, ihre Perspektive überhaupt noch zu verstehen.
Sprache ist niemals neutral , denn sie gestaltet unsere Wirklichkeit. Und sie entscheidet darüber, ob wir Brücken bauen oder Gräben vertiefen. Oder ob wir aktiv den Hass säen, in dem wir später leben müssen.
Die Dauerbeschallung mit Wut: Social Media und die neue Streitkultur (welche Kultur?)
Nie zuvor in der Geschichte waren Menschen so permanent und ungefiltert mit den Gedanken und Emotionen anderer konfrontiert wie heute. Social-Media Plattformen sind längst keine fördernden und bereichernde Orte des Austauschs mehr, sondern Bühnen für Empörung, Selbstdarstellung und Polarisierung.
Jeder braucht eine Bühne und jeder bekommt sie.
Was Aufmerksamkeit bringt, ist nicht der differenzierte Gedanke, keine Abwägung und auch kein Austausch, sondern nur noch der wütende Ausbruch. Nicht die Frage, sondern das komplett fertige Urteil.
Nicht das Zuhören, sondern das Zuschlagen und der sofortige Angriff (Fitna machen, wtf?) . Algorithmen belohnen Extreme, weil sie Engagement erzeugen und Engagement bedeutet Reichweite. Und Reichweite… das bedeutet Geld.
So entsteht ein gefährlicher Kreislauf: Je schärfer der Ton, desto größer die Aufmerksamkeit. Je größer die Aufmerksamkeit, desto radikaler der Diskurs. All diese Dinge bedingen sich gegenseitig.
Die Folge: Eine Generation wächst mit dem Eindruck auf, dass man Meinungsverschiedenheiten nicht durch Argumente, sondern durch Lautstärke und größtmögliche Aggression löst. Dass es nicht darum geht, zu verstehen, sondern einzig und allein zu gewinnen und seinen Anspruch durchzusetzen.
Was wir dabei verlieren, ist nicht nur die Streitkultur , sondern auch das Fundament jeder Demokratie: die Fähigkeit zum Dialog.
Und jedes Mal, wenn ich überlege, wohin ich auswandern könnte, fällt mir ein: ach neeee, is ja überall so.
Die Generation der schnellen Antworten: Wenn KI Denken ersetzt
Gleichzeitig verändert eine andere Entwicklung unsere Beziehung zu Sprache und Denken: Künstliche Intelligenz. Texte werden nicht mehr mühsam mit eigenen Gedanken formuliert, sondern generiert. Antworten erarbeitet sich niemand mehr, sie werden einfach nur kopiert. Gedichte, Referate, Essays, Bewerbungsschreiben, Masterarbeiten an der Uni (wtf???) alles lässt sich binnen Sekunden erstellen, ohne dass wir selbst einen einzigen Satz durchdacht haben oder irgendwas geleistet haben müssen. Und Schulen fördern das, indem sie den Schülern kostenlos Zugänge zu OpenAI in der Pro-Version ermöglichen? Euer Ernst?
Das gabs natürlich früher auch schon. Ich erinnere mich an einen Schüler einer 6. Klasse, der mir eine Buchbesprechung vorgelegt hat, in der stand: „Der Autor flicht geschickt die verschiedensten Elemente unterschiedlichster literarischer Epochen ein, deren Wirkweisen großen Einfluss auf die finale Aussage des Textes haben.„. Obwohl es einige solcher Beispiele gab, hat sich dieser Satzin mein Gehirn eingebrannt, weil es einfach sehr sehr lustig war. Und tatsächlich noch einer von wenigen Einzelfällen.

Ach Goethe… wenn du wüsstest…
Natürlich kann KI ein wertvolles Werkzeug sein. Aber sie darf niemals einfach zum vollständigen Ersatz für eigenes Denken werden! Denn Denken ist Arbeit und genau diese Arbeit formt unser Gehirn. Wer einen Text schreibt, trainiert nicht nur Sprache, sondern auch logisches Denken, Abstraktionsfähigkeit und Problemlösungsstrategien.
Er leistet doch Transfer, das ist essenziell für unseren Umgang miteinander, für unsere BErufe, unser Lernen und für die Gestaltung unserer Zukunft. Wer schreibt und liest, lernt, zwischen den Zeilen zu verstehen, Zusammenhänge zu erkennen und Gelesenes auf Neues zu übertragen.
Wenn diese Prozesse wegfallen, verkümmert etwas ganz ganz Grundlegendes: unsere Fähigkeit, komplex zu denken. Und damit auch unsere Fähigkeit, kreativ zu handeln, kritisch zu hinterfragen und selbständig Lösungen zu finden.
Kinder und Jugendliche, die nie lernen, Texte selbst zu verfassen oder sich kritisch damit auseinanderzusetzen, entwickeln auch keine stabile Schreibkompetenz und damit keine stabile Denkkompetenz. Sie lernen nicht mehr, Gedanken zu strukturieren, ihre eigenen Argumente zu formulieren (sehr deprimierend, die schriftliche Debatte in einer 9.Klasse) oder sogar Perspektiven zu wechseln. Sie greifen nicht mehr auf eigene Ressourcen zurück, sondern auf die bequemste und schnellste Abkürzung. Und jede Abkürzung bedeutet weniger Übung und damit weniger Fähigkeit. Im Gehirn ist irgendwann gähnende Leere. Und wir wundern uns, warum Jugendliche ihr Gedanken und Gefühle nicht mehr formulieren können? Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber mich lässt das nicht los..
Bildung ohne Tiefgang: Was verloren geht
Die Folgen zeigen sich längst: Studien zur Lesekompetenz von Jugendlichen zeichnen ein wirklich alarmierendes Bild. Immer weniger Schülerinnen und Schüler verstehen komplexe Texte, können Informationen bewerten oder kritisch hinterfragen. Der passive Konsum von Inhalten ersetzt die aktive Auseinandersetzung mit ihnen. Es wird nur noch reagiert, eigene Aktion ist so gar nicht mehr möglich.
Dabei ist genau diese Auseinandersetzung essenziell für die Ausbildung des Gehirns. Sie schafft neuronale Verbindungen, ermöglicht Transferleistungen und stärkt das Gedächtnis. Wer nie eigene Gedanken entwickelt, trainiert auch nicht die Fähigkeit, sie zu verbinden und logisches Denkvermögen zuentwickeln.
Ich weiß nicht, welche Erfahrungen du damit gemacht hast, aber vor allem auf emotionaler Ebene hinterlässt das tiefe Spuren.
Sprache ist ein Werkzeug, um Gefühle zu benennen und damit zu verstehen. Wer keine Worte für seine Emotionen findet, kann sie auch schwerer regulieren. Wer Konflikte nicht in Sprache fassen kann, löst sie häufiger mit Aggression. Und wer nie lernt, respektvoll zu widersprechen, verlernt den Respekt.
Wenn Wissen zur Nebensache wird
Hinzu kommt eine gesellschaftliche Entwicklung, die Wissen und Bildung zunehmend entwertet. In einer Welt, in der Informationen jederzeit verfügbar sind, scheint es nicht mehr notwendig zu sein, sie zu verstehen. „Warum etwas wissen, wenn ich es jederzeit googeln kann?“. Diese Frage höre ich immer häufiger. Und ich nehme mich selbst dabei auch gar nicht aus. Ich speichere weniger Wissen, weil ich weiß, ich kann es jederzeit und überall abrufen. Das ärgert mich massiv und ich versuche wirklich, aktiv dagegenzusteuern.
Denn Wissen ist so vielmehr als eine Ansammlung von Fakten. Es ist ein ganzes, wunderbares Netzwerk aus Zusammenhängen, das uns hilft, neue Probleme zu lösen. Es ist die Grundlage für Kreativität, Innovation und kritisches Denken. Und es ist die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.
Wenn Wissen keinen Wert mehr hat, wenn Sprache nur noch Schlagwort ist und Denken durch Algorithmen ersetzt wird, verlieren wir nicht nur intellektuelle Tiefe,sondern wir verlieren auch unsere Fähigkeit, als Gesellschaft zu wachsen.
Die Folgen: Eine verarmte Gesellschaft
All diese Entwicklungen wie die Verrohung der Sprache, die Zerstörung der Streitkultur, die Abkürzungen durch KI und der Verlust an Lesekompetenz, sind keine isolierten Phänomene. Sie bedingen und verstärken einander,sie intensivieren sich gegenseitig.
Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr zuhört, lernt nicht mehr voneinander.
Eine Generation, die nicht mehr liest, verliert die Fähigkeit zum kritischen Denken.
Und eine Kultur, in der Worte nur noch verletzende Waffen sein sollen, verliert ihre Menschlichkeit.
Vielleicht hast du Ähnliches beobachtet? Ich empfinde das als eine Erosion von Empathie, Differenzierung und Diskursfähigkeit, als eine Art schleichende Aushöhlung dessen, was uns als Gesellschaft zusammenhält. Sprache war einmal ein so schöner Raum, in dem Menschen einander begegneten. Heute ist sie oft nur noch ein Kriegsschauplatz.
Was wir tun können als Gesellschaft… und müssen
Es ist leicht, in dieser Analyse zu verharren und nur darüber zu schimpfen,was verloren geht und warumalles so schrecklich ist (wir Deutschen können das ziemlich gut, glaube ich). Aber wir können auch etwas anderes, nämlich etwas tun. Sprache ist nicht nur Spiegel der Gesellschaft , sie ist auch ihr allerbestes Werkzeug zur Veränderung.
- Frühe Förderung: Kinder müssen so früh wie möglich an Sprache, Literatur und Dialog herangeführt werden. Vorlesen, gemeinsames Lesen, Gespräche – all das stärkt nicht nur Sprachkompetenz, sondern auch Empathie. Es ist so essenziell. Bitte lest doch mit euren Kindern. Es gibt so wunderschöne Bibliotheken, Buchhandlungen, deren Geruch nach Büchern und Druckerfarbe sich für immer einprägt. Kinder sind neugierig und interessiert, wenn man sie lässt.
- Besucht doch mal sowas: https://www.klassik-stiftung.de/herzogin-anna-amalia-bibliothek/
- oder https://www.dnb.de/DE/Home/home_node.html
- so liebenswert: https://www.facebook.com/thalia.de/?locale=de_DE
- und das sind nur Platzhalter. Es gibt so viele wunderbare, kleine Bibliotheken, Verlage und Buchhandlungen, in denen man sich verlieren kann
- Diskurs lernen: Schulen sollten Streitkultur nicht nur zulassen, sondern aktiv lehren. Debatten, Argumentation, Perspektivwechsel. All das sind so zentrale Fähigkeiten für das Leben in unserer wertvollen Demokratie.
- KI bewusst nutzen: Künstliche Intelligenz sollte nur ein Werkzeug bleiben, nicht der Ersatz für eigenes Denken. Es braucht Aufklärung darüber, wie sie sinnvoll eingesetzt werden kann als Unterstützung, nicht als Abkürzung. Was soch wichtig ist: Man muss doch einschätzen könne, ob das, was die KI präsentiert, auch stimmt und vereinbar ist mit Werten oder Normen. Oder ob der Inhalt korrekt ist. Sonst glaubt man irgendwann unreflektiert einfach alles und wird zum bestmöglichen Opfer für Manipulation.
- Vorbild sein: Sprache beginnt im Alltag. Wie wir sprechen, prägt, wie andere sprechen. Wer respektvoll kommuniziert, setzt ein Zeichen,auch digital. Seid lieb zueinander! Wertschätzt euch, sagt euch nette Dinge und nehmt tolle Dinge an euren Mitmenschen war und sprecht sie aus.

Sprache ist nicht nur, was wir sagen. Sie ist, wer wir sind.
Und sie ist das, was wir aus unserer Zukunft machen.
Macht uns das schon genug Sorgen?
Ich glaube , dass wir diesen Trend nicht komplett umkehren können. Aber wir müssenuns bewusst machen, wie viel auf dem Spiel steht. Macht euch das nicht auch ein bisschen Angst? Es geht nicht nur um schöne Worte oder höfliche Umgangsformen. Es geht um unsere Fähigkeit, als Gesellschaft zu denken, zu fühlen, zu streiten und gemeinsam Lösungen zu finden und darum, in welcher Umgebung wir leben wollen und usnere Kinder aufwachsen sehen.
Die Feder ist mächtiger als das Schwert
(Danke Marcus Brody , aber eigentlich von Edward Bulwer-Lytton) Dieser Satz ist heute aktueller denn je.
Doch nur, wenn wir sie wieder zu führen lernen.
was sind eure Gedanken dazu? Schreibt mir gerne, ich freu mich auf Austausch 🖤
Wenn du eigene Erfahrungen oder Gedanken dazu hast, freue ich mich, wenn du sie teilst. Sprache lebt davon, dass wir miteinander sprechen – nicht nur übereinander.
Eva






